Gastbeitrag der Universität Kassel (Autoren: Dr.-Ing. Holger Schopbach & Andre Sennhenn)
DiviBAU als Weiterentwicklung des abgeschlossenen BMBF-Förderprojektes DaviD wurde im Rahmen der Förderbekanntmachung „Hochschullehre durch Digitalisierung stärken“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre als eines von 16 Teilprojekten umgesetzt. Das Projekt soll überwiegend auf akademischer Ebene zum Einsatz kommen und Studierende bei der Nachbereitung der Vorlesung, Hausübungsbearbeitung und Klausurvorbereitung unterstützen. Ebenfalls soll das Projekt allen Interessierenden ein breites Verständnis zum Entstehungsprozess eines Hauses im Rohbauzustand mit tiefreichenden Informationen unter übergreifender Betrachtung der verschiedenen Fachdisziplinen der Bauwirtschaft liefern. Durch die vielfach hergestellten Querbezüge zwischen den einzelnen Wiki- Fachartikeln ist das Ziel, dass die Anwender von DiviBAU ein umfassendes Verständnis zu den angesprochenen Kernthemen erlangen. Um eine gute Veranschaulichung der virtuellen Baustelle zu realisieren und einen Bezug zur Praxis herzustellen, ist auch das umliegende Baustellengelände mit Bagger, Kran, Baucontainer etc. dargestellt. Bei der virtuellen Baustelle handelt es sich um eine Online-Anwendung, welche unter https://uni-kassel.de/go/divibau allen Interessierten zur Verfügung gestellt wird. Die fachlich-technischen Informationen und Lerninhalte, auf die das 3D-Modell mit direkten Verknüpfungen verweist, befinden sich in einem angegliederten Wiki-System, das ebenfalls unter dem o.g. Link zur Verfügung steht.
Zentrale Elemente des Projekts
Anhand des 3D-Modells eines Zweifamilienhauses im Rohbau-Zustand samt entsprechender Baustellenumgebung werden die wesentlichen Schritte bei der Erstellung eines Wohngebäudes und ausgewählte Baustellenelemente visuell dargestellt. Das 3D-Modell des Zweifamilienhauses entspricht weitestgehend den Grundrissen des 3D-Modells des fertig gestellten Zweifamilienhauses auf dem Nachbargrundstück (Projekt DaviD). Das DiviBAU-Lernsystem hat zwei zentrale digitale Bestandteile: Ein über Maus und Tastatur steuerbares und grafisch animiertes, dreidimensionales Gebäudemodell eines Zweifamilienhauses im Entstehungsprozess inklusive typischer Baustellenumgebung dient als Erkundungsraum und ein fachsystematisch gegliedertes Wiki-System liefert (wie bereits beim abgeschlossenen DaviD-Projekt) den Zugang zu den jeweils relevanten Lerninhalten. Das thematische Spektrum umfasst vier zentrale baubetriebliche Kernthemen einer Baustelle und reicht von Kosten, Terminen, Baustelleneinrichtungsplanung bis hin zur Arbeitssicherheit. Angekommen auf der virtuellen Lernplattform, wird in einer Zaunöffnung an der abgegrenzten Grundstücksgrenze zwischen den beiden Teilprojekten gestartet. Bauschilder als Wegweiser zeigen dem Nutzer, wo welches der beiden Teilprojekte auf dem Gelände angesiedelt ist. Als Benutzer wird einem so die Wahl gelassen, DiviBAU oder DaviD zu besuchen. Bei der Wahl für DiviBAU führt der Weg nach rechts zur „grünen Wiese“, den Ausgangspunkt zur Simulation der verschiedenen Baustellenphasen. Ein Wechsel zwischen den beiden Gebäuden durch Begehen des anderen Grundstücks durch die Zaunöffnung hindurch ist jederzeit, auch unabhängig vom Baufortschritt in DiviBAU, möglich. Über den linkseitig angebrachten Schieberegler lässt sich der Baufortschritt anhand von fünf Hauptszenarien (grüne Wiese, Baugrube, Garage und Keller, Rohbau Erdgeschoss, Rohbau Obergeschoss) bequem per Maus steuern. Im Verlauf der Bearbeitung stellte sich heraus, dass eine Darstellung von deutlich kleinschrittigeren Zwischenständen des Bauablaufs sinnvoll wäre. So enthält der vertikale Schieberegler nach wie vor die fünf Hauptszenarien, lässt aber eine weitere Untergliederung mit insgesamt 16 Szenarien zu. Die folgende Abbildung zeigt die Ansicht des Startfensters in der Zaunöffnung mit den Wegweisern und dem linksseitig angebrachten Schieberegler.
In DiviBAU werden die zentralen Kernthemen, die beim Betrieb einer Baustelle relevant werden, im Wiki-System anhand von fachlichen Artikeln erläutert. Der Aufbau der Artikel beruht auf einer Gliederung, die sich auf vier baubetriebliche Themenfelder fokussiert. Diese Kernthemen umfassen Erläuterungen zur Arbeitssicherheit, Baustelleneinrichtungsplanung, Terminplanung und Kostenplanung. Daneben lassen sich den Wiki-Artikeln Informationen zu Bauverfahren und Konstruktionen entnehmen. Neben allgemeinem bauteilspezifischen Wissen und der Anwendung der vier genannten Themenfelder auf verschiedene Bauteile werden zusätzlich in einem auf der Baustelle angeordneten Bürocontainer allgemeine Informationen zum Bauprojekt in Form von Bauzeichnungen und Terminplänen sowie allgemeine Erläuterungen auf einem Bücherregal zu den einzelnen Themenbereichen präsentiert.
Didaktisches Konzept
Studierende des Bauingenieurwesens und fachnaher Studiengänge wie beispielsweise Umweltingenieurwesen, Wirtschaftsingenieurwesen (Fachrichtung Bauingenieurwesen) und Architektur sollen anhand der virtuellen Baustelle Zusammenhänge zwischen den angesprochenen Kernthemen erkennen und entsprechende Querbezüge herstellen können. Die virtuelle Baustelle soll die Studierenden bei baubetrieblichen bzw. bauwirtschaftlichen Modulen ergänzend zur Präsenzlehre beim Lernen unterstützen und damit zur Wiederholung der Vorlesungsinhalte, zur Hausübungsbearbeitung, zur Unterstützung in Selbstlernphasen und zur Klausurvorbereitung beitragen. Die Studierenden des B.Sc.-Studiengangs Bauingenieurwesen an der Universität Kassel belegen im 4. Semester eine Pflichtveranstaltung (Modul „Grundlagen Bauwirtschaft und Baubetrieb 1“), bei der als Voraussetzung zur Teilnahme an der Abschlussklausur semesterbegleitend eine umfangreich Hausübung als Studienleistung abzulegen ist. Anhand eines vorgegebenen Wohngebäudes müssen hier zunächst für die Erstellung des Rohbaus die Mengen ermittelt und ein Leistungsverzeichnis erstellt werden, bevor die Kalkulation über die Angebotssumme durchgeführt wird. Auch die Bauzeitplanung für die Errichtung eines kleinen Wohnparks ist Bestandteil der Hausarbeit. Zusammen erstmalig mit der Vorstellung der Hausübung wurde im Sommersemester 2024 auch das Lernsystem DiviBAU den Studierenden vorgestellt. In Zukunft soll auch für die im Rahmen eines Lehrauftrags angebotene Vorlesung „Grundlagen der Arbeitssicherheit“ die virtuelle Baustelle für Selbstlernphasen, ergänzend zur Präsenzlehre, eingesetzt werden. Bereits durchgeführte Projektvorstellungen an Berufsschulen gaben einen wichtigen Impuls zur Eingliederung der virtuellen Baustelle in die dortige Lehre. Die entsprechenden Berufsschulen sind davon überzeugt, die virtuelle Baustelle in ihren Lehrveranstaltungen zukünftig einzusetzen Auszubildende der Bauberufe können die virtuelle Baustelle in der betrieblichen und überbetrieblichen Ausbildung und in der Berufsschule zur Wiederholung, zur Vor- und Nachbereitung sowie zum Selbsttest nutzen. Insbesondere durch das prägnant sichtbare Gerüst und die sonstigen Absturzsicherungen sollen die Auszubildenden für das wichtige, aber in der Praxis häufig vernachlässigten Thema Absturzprävention sensibilisiert werden. An der Universität Hannover wurde das Lernsystem durch Frau Prof. Bach am Institut für Berufswissenschaften im Bauwesen im Rahmen Vorlesung der Lehramtsstudierenden an Berufsbildenden Schulen vorgestellt. Aber auch im Rahmen der beruflichen Weiterbildung kann das System in Vorbereitungslehrgängen für die Meisterprüfung typischer Bauberufe eingesetzt werden. Die Lernprozesse gehen stets von der verständnisleitenden ganzheitlichen Situation aus. Das digitale Lernmedium orientiert sich jedoch immer an abgegrenzten, für Lernende überschaubaren baulichen Objekten oder Teilobjekten. Die Lernenden können ihren Fokus nach individuellem Interesse und aktuellem Lernbedarf weiter reduzieren, ohne den Bezug zum ganzen Gebäude zu verlieren, der durch den Wechsel vom Wiki-System zum 3D-Modell und umgekehrt zwangsläufig immer wieder ins Blickfeld gerät. Das didaktische Konzept setzt also mit der Strategie „vom ganzheitlichen Objekt über die Erfassung von Zusammenhängen zur Lösung von Detailproblemen“ im übertragenen Sinne auf deduktive („vom Allgemeinen zum Besonderen“) Verstehensprozesse. Für diejenigen, die später im Beruf, aber auch im Alltag, Bezug zur Baubranche haben, bietet dieses didaktische Prinzip des selbstgesteuerten, entdeckenden Lernens eine sehr gute Möglichkeit, sich mit den relevantesten Themen, die auf einer Baustelle zum gewohnten Alltag gehören, auseinanderzusetzen. Ergänzend können sich die Lernenden durch Anklicken der Bauteile Informationen erschließen, die das Objekt an sich als Bauverfahren oder ihre Kosten oder Termine betreffen können. Die Lernenden entscheiden selbst, welche Bereiche der Baustellenelemente oder des Rohbaus sie in welcher fachlichen Tiefe erkunden möchten. Das kann beispielsweise bezüglich einer speziellen Fragestellung zu den Bauteilkosten (z. B. Einzelkosten des Bauteils Außenwand) sehr in die Tiefe gehen, während es beim Thema „Absteckung“ auf der Basisebene verbleibt – oder umgekehrt. Letztendlich können alle Personen, die mit der Planung, Errichtung und Ausrüstung von Gebäuden befasst sind, das Lern-System bedarfsorientiert und selbstgesteuert einsetzen; bis hin zu Lernende im privaten Bereich (beispielsweise Bauherren). Dieser Ansatz optionaler Lernangebote erfordert eine entsprechende Lernbereitschaft, Motivation und Kompetenz zum Umgang mit dem digitalen Medium und geeignete räumliche, technische und zeitliche Rahmenbedingungen. Diese Voraussetzungen sind bei der Zielgruppe der Studierenden in den gegebenen organisatorischen Kontexten (anleitendes Tutorium in der Universität/ Hochschule, selbstständiges Lernen und Vorbereiten auf Klausuren, Hausübungsbearbeitung etc.) üblicherweise gegeben beziehungsweise realisierbar. Wenn das digitale virtuelle Gebäude durch eine äußere Lernprozess-Führung ergänzt wird, kann es seine Wirkung am besten entfalten. Dies kann beispielsweise durch geeignete Aufgabenstellungen, durch lernleitende Arbeitsblätter, durch den vorgegebenen Rahmen eines kleinen Projekts oder durch ein vorhandenes Problem geschehen. Zahlreiche beispielhafte Aufgabenstellungen zu den wesentlichen Themenfeldern sind in diesem Kompendium im Kapitel „Didaktische Hinweise und Hilfen“ mit Lösungsweg und skizzierten Lösungen beschrieben.
Ergänzend zu dem Blogbeitrag, gibt es jetzt auch ein Youtube Video https://youtu.be/8y3N1BrTyOs